Im Jahr 35 nach dem Mauerfall gedenken wir Silvio Proksch,
geboren am 3. März 1962 in Ost-Berlin;
erschossen am 25. Dezember an der Grenze zu Berlin-Reinickendorf vor Erreichen der Hinterlandmauer auf dem Gelände des Friedhofs Pankow III.
Silvio Proksch absolvierte nach der Schule eine Maurerlehre und arbeitete dann in einer Bautischlerei. Zusammen mit seinem Bruder lebte er noch bei seinen Eltern im Ost-Berliner Stadtteil Pankow, neun weitere Geschwister waren schon aus dem Haus.
Am 25. Dezember 1983 verließen die Brüder gegen 19 Uhr erheblich alkoholisiert die elterliche Wohnung. Ohne je zuvor Fluchtabsichten geäußert oder irgendwelche Fluchtvorbereitungen getroffen zu haben, eröffnete Silvio Proksch seinem Bruder, jetzt nach West-Berlin flüchten zu wollen.
Auf dem Weg zum Friedhof Pankow III, der an die Hinterlandmauer grenzte, versuchte sein Bruder vergeblich, ihn vom Fluchtvorhaben abzubringen. Sie trennten sich, als sie den Bürgerpark Berlin-Pankow durchquert hatten und Proksch den gegenüberliegenden Friedhofszaun überstieg. Noch vor Erreichen der Hinterlandmauer löste er um 19.30 Uhr an einem Grenzsignalzaun Alarm aus. Ein Grenzsoldat gab zunächst zwei Warnschüsse ab und rief Proksch zu, er solle stehenbleiben. Dieser setzte seinen Weg in Richtung der Mauer fort. Der Grenzsoldat eröffnete daraufhin das Feuer auf den Flüchtenden. Zwei Schüsse zerrissen die rechte Hüftschlagader und die Schenkelvene. Längere Zeit ohne medizinische Hilfe liegengelassen, verblutete Proksch. Bei der Einlieferung in das Krankenhaus der Volkspolizei gegen 21.15 Uhr war er bereits tot. Dem Todesschützen wurde die Verdienstmedaille der Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik in Bronze verliehen.
Prokschs Bruder hatte die Schüsse gehört und der Familie davon berichtet. Eine Schwester Prokschs gab am 28. Dezember 1983 eine Vermisstenanzeige bei der Kriminalpolizei in Berlin-Pankow auf. Das Ministerium für Staatssicherheit vernahm mehrere Angehörige des Toten, wobei es den Tod Prokschs leugnete und den Bruder für über zwei Jahre wegen Bagatellvergehen inhaftierte.
Erst im August 1990 erfuhren die Angehörigen nach zahlreichen Anzeigen und Eingaben auch offiziell vom DDR-Militärstaatsanwalt, was am 25. Dezember 1983 tatsächlich geschehen ist. Den Leichnam von Silvio Proksch übernahm am zweiten Weihnachtsfeiertag die Staatssicherheit. Sie brachte ihn ins militärgerichtsmedizinische Institut nach Bad Saarow. Er ist in keinem Sterberegister der DDR eingetragen und bleibt seit dem 30. Dezember 1983 spurlos verschwunden.