Geschichte

Der Mauerweglauf: Laufen auf den Spuren deutscher Geschichte

Es gibt wohl kaum einen anderen Ultramarathon mit so engem Bezug zur jüngeren deutschen Geschichte. Denn gelaufenwird entlang der früheren Grenze, 100 Meilen rund um das westliche Berlin. Wo früher eine Mauer stand, sind jetzt Hunderte Läuferinnen und Läufer aus aller Welt unterwegs. Ein sportliches Zeichen der Erinnerung an die Teilung Berlins und ihre Opfer zwischen 1961 und 1989. Auch trägt die Finisher-Medaille in jedem Jahr das Konterfei eines Menschen, der bei dem Versuch, Stacheldraht und Beton zu überwinden, ums Leben kam.

Unterstützt wird der Mauerweglauf unter anderem vom ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann, der zugleich Schirmherr ist.

Was sollte man sonst über den Berliner Mauerweg wissen? Er ist überwiegend flach, größtenteils asphaltiert und verläuft teilweise durch städtisches Gebiet, aber auch durch Wälder oder entlang von Wiesen und Feldern – eine abwechslungsreiche Strecke. Eine Besonderheit: Aufgrund der Länge und dem Zeitlimit von 30 Stunden (für Einzelläufer, 27 Stunden für Staffeln) ist die Strecke nicht abgesperrt, es kann also durchaus zu Begegnungen mit Autos, Radfahrern und Fußgängern kommen. Deshalb ist die Straßenverkehrsordnung unbedingt einzuhalten! Dass man trotz roter Ampeln flott unterwegs sein kann, bewies 2014 Mark Perkins mit seinem Streckenrekord. Der Brite benötigte für die 100 Meilen gerade mal 13 Stunden und 6 Minuten.

Für die Beliebtheit dieser Veranstaltung, die es seit 2011 gibt, sind auch die über 400 Volunteers entlang der Strecke verantwortlich. Sie versorgen die Mauerwegläufer nicht nur an den insgesamt 26  Verpflegungspunkten mit Getränken und allerlei leckeren Sachen, sie sind auch Motivations- und Trostspender zugleich. Ein Grund mehr, unterwegs nicht aufzugeben!

Wer den Lauf innerhalb des Zeitlimits beendet, erhält eine einzigartige Finishermedaille. Einzelläufer, die die Strecke 2018 und 2019 innerhalb von 30 Stunden beendet haben, erhalten zusätzlich eine Back-to-Back-Medaille. Finisher, die den Lauf innerhalb von 24 Stunden erfolgreich absolviert haben, erhalten zusätzlich einen 100Meilen-Buckle – eine Gürtelschnalle nach amerikanischem Vorbild.

 

Entstehungsgeschichte

Text von Ronald Musil, dem Initiator des Mauerweglaufs

Im Jahre 2005 begann ich auf Rat und mit Unterstützung eines heute sehr guten Freundes, Ulrich Welzel, nach einer Ernährungsumstellung und 26 kg weniger Gewicht meine „Laufkarriere“. Ein Jahr später mit dem Mittelrhein-Marathon der erste Marathon und 2008 die ersten Ultraläufe, u.a. Thüringen Ultra über 100km.

Seit 2000 war ich zudem mit einem Virus infiziert, den ich nicht mehr loswerden sollte – Südafrika. In Kombination mit meiner Laufeigenschaft bin ich dann dort zunächst den Two Oceans Marathon (56 km) gelaufen. Dieser Lauf ist als Trainingslauf für einen ganz anderen Lauf ins Leben gerufen worden, dem Comrades Ultramarathon (56 Meilen oder ca. 90 km). Der Comrades Ultramarathon wird jedes Jahr (Ausnahme in der Zeit von 1941 bis 1945 wegen des 2. Weltkrieges) zwischen Durban und Pietermaritzburg ausgetragen. Er erinnert an die im 1. Weltkrieg in Ostafrika gefallenen Soldaten und die Leiden, die alle Soldaten dort im Einsatz erdulden mussten. Heute ist er der traditionsreichste und mit mehr als 20.000 Teilnehmern der teilnehmerstärkste Ultramarathon der Welt.

Ich habe mich sehr mit der Geschichte dieses Laufes beschäftigt und mich gefragt, ob es in Europa resp. Deutschland nicht auch solch einen geschichtsträchtigen Lauf gibt. Die Antwort lautete: Nein!

Sollte es nicht möglich sein, Geschichte auch erlaufbar zu gestalten?

Warum laufe ich überhaupt Strecken jenseits der 42,195 km? Der Comrades und seine fesselnde Geschichte ist ein wesentlicher Grund, der Western States 100 der andere. Denn der WS100 ist quasi die Mutter aller 100-Meilen-Läufe. Diesen Lauf einmal zu absolvieren ist mir leider nicht vergönnt gewesen, wenn mein Name auch zwei Mal in der Lostrommel für die Ziehung der Startplätze war.

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Sollte es nicht möglich sein, Geschichte auf einer Strecke von 100 Meilen erlaufbar zu machen?

Anfang Februar 2009! Ich wollte noch unbedingt eine gute Qualifikationszeit für den Comrades Ultramarathon vorweisen. Der Veranstalter stellte mir kurzfristig einen Startplatz zur Verfügung und auf ging es nach Kiel. Auf dem Hauptbahnhof in Berlin waren zu der frühen Zeit nicht viele Menschen auf dem Bahnsteig zum Zug nach Kiel. Zwei haben sich zwar nicht gesucht aber gefunden. Alexander von Uleniecki und ich. Auf der Bahnfahrt nach Kiel habe ich dann einmal über meine o.g. Idee, den Berliner Mauerweg und damit die Geschichte der deutschen Teilung mit einem 100Meilen-Lauf zu verbinden, ein wenig laut nachgedacht und sofort einen Mitstreiter gefunden. Ein ganz besonderes Anliegen war dabei, den Menschen zu gedenken, die an der Berliner Mauer während der Teilung zu Tode gekommen waren. Alexander war sofort begeistert und sollte dann viele Jahre aktiv in den verschiedensten Funktionen bei der Organisation des Mauerweglaufes mitwirken und ein kongenialer Partner sein. Ein ganz besonderes Danke auch einmal an dieser Stelle, ohne ihn wären die 100Meilen nicht zu dem geworden, die sie heute sind.

Bereits im März fand dann der erste Lauftreff auf dem Mauerweg statt. Zunächst vom Hauptbahnhof nach Adlershof und noch mit dem Radwanderführer von Michael Cramer in der Hand. Wir sind oft stehen geblieben und haben uns über die Geschichte ausgetauscht. Viele Lauftreffs sollten folgen und alle fanden wirklich statt.

Schnell war uns klar, dass die Organisation eines derartigen Vorhabens nur mittels eines professionellen Veranstalters durchzuführen ist. Im November 2009 wurde daraufhin die LG Mauerweg Berlin e.V. gegründet, die 2019 somit bereits ihr 10jähriges Jubiläum feiern wird.

Als Test wurde dann zunächst ein Etappenlauf auf dem Mauerweg organisiert und durchgeführt. Spätestens danach war klar, das Interesse ist groß und wir waren schließlich bereit, den ersten 100Meilen-Lauf auf dem Mauerweg auszurichten. Herausragend und bist heute untrennbar mit diesem Lauf verbunden ist die für derartige Läufe ungewöhnlich große Anzahl von Verpflegungspunkten (Alexanders Vorschlag fand ich zunächst überhaupt nicht gut!) sowie die Persiflage auf Walter Ulbrichts Zitat am 15.06.1961 „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!“ in nunmehr „Niemand hat die Absicht 100Meilen zu laufen!“.

Wir wollten unbedingt eine bedeutende Persönlichkeit der Wendezeit als Schirmherren gewinnen und sind stolz, dass uns der ehemalige Bürgerrechtler Rainer Eppelmann bis heute als solcher die Treue gehalten hat.

Mit Chris Gueffroy haben wir bei der ersten Ausrichtung in 2011, sodann immer an dem Wochenende, das auf dem 13. August folgt, dem letzten Maueropfer gedacht und sein Konterfei auf der Medaille verewigt. Seine engagierte Mutter, Karin Gueffroy, war ebenso wie Rainer Eppelmann bei der Siegerehrung auf dem Sportplatz in der Lobeckstraße dabei. Ich freue mich außerordentlich, dass Frau Gueffroy nunmehr als „Mutter der 100Meilen Berlin“ uns alljährlich u.a. aktiv bei der jeweiligen Siegerehrung unterstützt.

Mit 78 Läufern konnten wir damals ihr Finish feiern.

Wir benötigten ein Jahr Pause, um den nächsten Lauf zu organisieren, weitere Ideen zu integrieren und die Organisation auf noch stabilere Beine zu stellen.

Entscheidend und in Anlehnung an den Comrades Ultramarathon waren dabei der jährliche Wechsel der Laufrichtung sowie die Integration von Botschaftern der 100 Meilen in den wichtigsten Ländern als Ansprechpartner für interessierte Läufer. Herausragend dabei und unbedingt erwähnenswert der Einsatz von Hartmann Stampfer aus Südtirol. So haben sich die italienischen Läufer seit jeher als teilnehmerstärkste Gruppe etabliert.

Da der Mauerweglauf regelmäßig an der East Side Gallery vorbeiführt, war es nahe liegend, die Künstlerinitiative um den Vorsitzenden Kani Alavi zu bitten, sich ebenso zu engagieren. Seit 2013 ziert nun immer ein Bild dieser einmaligen Freiluftgalerie das Finisher-Shirt.

Und noch etwas war uns wichtig, wenn auch nicht zwingend mit dem Grundgedanken des Laufes, dem Gedenken an die Mauertoten. Bekanntermaßen haben die 100Meilen-Läufe ihre Wurzeln in den USA (WS100) und dort werden die Finisher, die den Lauf unter 24 Stunden erfolgreich beenden, mit einer Gürtelschnalle geehrt. Ab sofort also auch beim Mauerweglauf.

Mit der Einbeziehung drei verschiedener Staffelvarianten, die von Beginn an hervorragend angenommen wurden, ist die Anzahl der Sportler, die auf dem Mauerweg unterwegs sind nochmals deutlich gestiegen.

Heute gehören die 100Meilen Berlin – Der Mauerweglauf zu einer der wichtigsten Laufveranstaltungen in Berlin und den bedeutendsten 100Meilen-Läufe weltweit.

Ein Dank gehört an dieser Stelle den jährlich mehr als 400 Volunteers und den Organisatoren!

Rainer Eppelmann: „Der Mauerweglauf als Beitrag zur Erinnerungskultur“

Der Mauerweglauf 100MeilenBerlin vereinigt auf einzigartige Weise die sportlichen Höchstleistungen eines Ultramarathons mit dem Gedenken an die Teilung Deutschlands und der Stadt Berlin. Vielleicht haben die Athletinnen und Athleten aus aller Welt auf ihrem 161 Kilometer langen Lauf die eine oder andere Minute Zeit, um über die unmenschliche Berliner Mauer nachzudenken. In jedem Fall setzen die Veranstalter mit der Wahl des Termins zum Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 und durch die Strecke entlang der ehemaligen Sperranlagen ein deutliches Zeichen. Neben der Leistung der Organisatoren, die seit Jahren unermüdlich für den wachsenden Erfolg dieses internationalen Sportereignisses arbeiten, möchte ich das Engagement der rund 400 ehrenamtlichen Helfer hervorheben. Ohne deren Unterstützung an den 26 Verpflegungspunkten wäre der gesamte Mauerweglauf nicht zu realisieren. Ich möchte allen Beteiligten danken, die damit zugleich einen ungewöhnlichen Beitrag zur Erinnerungskultur in diesem Land und in dieser Stadt leisten.

Der Lauf entlang der ehemaligen Berliner Mauer erinnert an ein monströses Bauwerk, das 28 Jahre lang die Menschen in Ost und West getrennt hat und das heute fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden ist. Sie erinnern daran, dass die Machthaber in der DDR die Grenzbefestigungen gegen die eigene Bevölkerung errichtet haben und damit den DDR-Bürgern das letzte Schlupfloch in die Freiheit versperrt haben. Familien, Ehepaare und Freunde wurden über Jahrzehnte voneinander getrennt. Tausende Menschen, die mit dem Leben in der DDR nicht einverstanden waren, zahlten ihre Fluchtversuche mit Gefängnis oder schweren Verletzungen, viel zu viele fanden an der Mauer den Tod.

Daran immer wieder zu erinnern und insbesondere den jüngeren Generationen die Brutalität des Grenzregimes vor Augen zu führen, hinter dem sich die ganze kommunistische Diktatur in der DDR verstecken musste, bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 100MeilenBerlin gehen nicht nur an ihre eigenen körperlichen Grenzen, sie leisten auch einen wertvollen Beitrag zur Erinnerung an die Zeit der Teilung und deren zahlreiche Opfer.

Ihr Rainer Eppelmann

Ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Schirmherr des Berliner Mauerweglaufs

Rainer Eppelmann ist früherer DDR-Bürgerrechtler. In der Regierung Lothar de Maizière war er Minister für Abrüstung und Verteidigung, von 1990 bis 2005 für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit der Premiere 2011 ist Rainer Eppelmann zudem Schirmherr des Berliner Mauerweglaufs.


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